Der zerbrochne Krug
Lustspiel von Heinrich von Kleist
In der beschaulichen Gemeinde Huisum zerbricht ein Krug; auf den ersten Blick scheint es sich um einen verkraftbaren Schadenswert zu handeln, doch in Wirklichkeit geht es um noch viel mehr. Der Ruf von Eve scheint genauso in Gefahr zu sein wie ihre Verlobung zu Ruprecht. Denn was hatte der Dorfrichter Adam am letzten Abend bei der Tochter von Marthe zu suchen? Warum liegt Adam mit einem (mindestens) lädierten Fuß und sichtbaren Schrammen im Gesicht auf der Station des Krankenhauses? Das Offensichtliche liegt so nahe: Selbstverständlich hat Adam die junge Frau in ihrem Zuhause bedrängt, wird von Ruprecht dabei überrascht und zieht sich bei seinem anschließenden Sprung aus dem Fenster die Blessuren zu. Trotzdem schafft es die Dorfgemeinschaft, gestützt von einer zementierten Hierarchie und einem guten Schuss Patriachat, an der Wahrheit vorbeizuschauen. Das geht so lange gut, bis die neue Gerichtsrätin Walter anreist. In aller
Öffentlichkeit schaltet Adam nun in den Angriff und macht sich selbst den Prozess, der ihn alles kosten könnte.
Die Komödie von Kleist darf Komödie statt Drama sein, weil die Dreistigkeit des Protagonisten in uns ein nur allzu bekanntes Gefühl erweckt; Wer über Macht (oder/und Geld) verfügt, kommt manchmal auch mit der größten Lüge davon. Die Wahrheit wird übersehen, während das aktive Wegschieben von Verantwortung oft auch noch beklatscht wird. Eine scheinheilige, um Sicherheit bedachte Mitwisserschaft zeigt sich dabei genauso verantwortlich wie eine skrupellose Elite, die das Privileg zu nutzen weiß. Der Zerbrochne Krug gilt als einer der meistgespielten Klassiker auf deutschen Bühnen, doch um den Kernkonflikt auch wirklich ins 21. Jahrhundert zu transferieren, entscheiden wir uns für einen Ansatz jenseits von Patriachat (ohne diesen Umstand zu ignorieren). Dorfrichter Adam steht im Zentrum des Geschehens, so viel ist klar. Anders als aus reiner Dreistigkeit, sogar Boshaftigkeit zu entscheiden, erklären wir Adam zum Opfer. Seit geraumer Zeit gibt es in der Psychologie eine bemerkenswerte Entdeckung. Anders als noch im letzten Jahrhundert, scheint es ein neuartiges Phänomen des Individuums zu sein, Gefallen an der Narration des eigenen Opfers, anstatt des eigenen Helden zu finden. Die Erfindung des Opfer-Seins hat eine große Suggestivkraft, besonders für diejenigen, die ohnehin zum Schwindeln neigen. In der öffentlichen Welt von prominenten Musiker*innen, Schauspieler*innen, aber auch in der Wirtschaft und besonders in der Politik ist das gut zu beobachten.
Donald Trump in den USA – 180 Gradwendung bei den letzten Wahlen. Vom Messias zum Opfer eines weltweit lancierten Wahlbetrugs.
Die AfD, allen voran die Parteispitze – das Opfer einer Medienkampagne, als deutschlandweit von Gesprächen über Remigration oder Bezuschussungen aus dem Ausland berichtet wird.
Thomas Gottschalk – das Opfer einer neuen Sprache,
in der man nichts, aber auch nichts mehr sagen darf.
Gil Ofarim inszeniert sich sogar so weit, dass er auf Instagram einen nicht existierenden Tathergang schildert, weint und den (leider immer noch stark verwurzelten) Antisemitismus dazu nutzt, die eigene Lüge zu bedecken.
All die genannten Beispiele bedienen sich dieser Strategie des Lügens. Gottschalk, um beim Individuum zu bleiben, sieht gerne darüber hinweg, dass es auch während seiner erfolgreichsten Zeit als Moderator immer wieder Vorwürfe gegen ihn gab. Das mehrfache, ungefragte Antatschen von Frauen in der Öffentlichkeit ist bestens dokumentiert und einige haben sich dazu sogar negativ geäußert. Ein aus der Zeit gefallener Mann schiebt die Verantwortung nun auf eine Sprache, die es ihm schwermacht «er selbst zu sein» und geht dabei so weit, dass er in seiner letzten Sendung die Öffentlichkeit dazu benutzt, allen anderen die Schuld zu geben, anstatt auch nur einen Funken Dankbarkeit oder Reue zu zeigen.
Hans Stoffels, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sagt im Focus-Interview von 2023 dazu folgendes: « Ich habe beobachtet, dass sich Lügner heute gerne als Opfer inszenieren. Früher haben sie sich als Adlige ausgegeben oder später dann als Fabrikbesitzer. (…) Manchmal stelle ich sogar fest, dass sich Patienten danach sehnen, ein Trauma-Opfer zu sein, weil sie dann auf Zuwendung hoffen können. »
Tourneezeitraum
Oktober – Dezember 2025
Produktion umbreit Entertainment GmbH & Co. KG
Regie Aron H. Matthiasson
Mit
Jörg Schüttauf als Dorfrichter Adam
und weiteren 6 Schauspielerinnen und Schauspielern